Mein spiritueller Vater

Ayoma Wickremasinghe

Ven. Ñāṇavimala's Kuit at Homagama

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

Der traurigerweise im Jahre 2005 verstorbene Höchstehrwürdige Ñāṇavimala Thero, war einer meiner innig geliebten Lehrer. Mein erster Lehrer war der Höchstehrwürdige Webu Sayadaw aus Burma. Während meiner eingehenden Beobachtung und im Umgang mit beiden, war ich davon überzeugt – tatsächlich weiß ich es sogar – dass sie ihre Reise im höchst elendiglichen, grauenhaften und unendlichen saṁsāra (Geburtenkreislauf), beendet hatten.

Sie waren Helden, die sich durch Weisheit und mithilfe von unermüdlichem, niemals endendem Einsatz, vollends selbst geläutert haben. Wie sehr sie doch vom Glück begünstigt waren und wie sehr ich es mir wünschen würde ihnen nur in Gänze nacheifern zu können! Wie wundervoll es wohl sein muss, innerlich komplette Befriedung zu erfahren, ohne andauernd malträtierende āsavas (geistige Befleckungen)!

Die allererste Begegnung mit dem Ehrw. Ñāṇavimala Thero, diesem beeindruckenden Menschen, verwunderte mich wirklich. Es war gerade ein paar Minuten nach zwölf Uhr am Mittag im Hawa Eliya Distrikt nahe der Stadt Nuwara Eliya. Der bhikkhu (Mönch) wanderte mit seiner Schale um die Schulter geschlungen. Obwohl mir zu diesem Zeitpunkt niemand verraten hatte, dass er es war – wusste ich es sofort, als ich ihn das erste Mal sah, denn mir wurde bereits, durch meinem lieben Freund Geeta Sri Nissanka, über ihn erzählt. Ich bat meinen Ehemann das Auto freundlicherweise anzuhalten und nachdem ich zu dem nächstgelegenen Laden gegangen war und etwas Essen gekauft hatte, eilte ich zurück und offerierte es dem bhikkhu.

Äußerst harsch lehnte er das Essen ab und sagte: „Bhikkhus nehmen nach zwölf Uhr am Mittag kein Essen an.” Ich war überrascht, dass er sogar ohne Uhr die exakte Zeit kannte, obwohl es vielleicht nur ein paar Minuten nach Mittag war. Auf die Frage wohin er weiterwandere, ließ er mich harsch wissen: „Zum Vajirarama in Hawa Eliya.” Dort besuchte ich ihn zwei oder drei Mal und war irritiert, als er die meisten Gaben ablehnte, denn dies stand in völligem Gegensatz zu der Art der Praxis des Höchstehrwürdigen Webu Sayadaw aus Burma, der mit einem Überfluss an mettā (liebender Güte), alle Leute und ihre Geschenke akzeptierte und willkommen hieß. Erst später verstand ich, dass es sich so verhält, wie Bhikkhu Bodhi ihn beschrieben hat: „Falls du eine Predigt von Mahākassapa wünschst, gehe zum Ehrw. Ñāṇavimala – das strikte Gebaren, das asketische Wesensmerkmal, die gefestigte Selbstsicherheit, die individuelle Art der Praxis – all diese Eigenschaften des Ehrw. Ñāṇavimala erinnern an Mahākassapa.”

Von diesem Zeitpunkt an, traf ich ihn über die Jahre hindurch, oft plötzlich und unerwartet. Wir waren derart freudig erregt, wenn sich uns die Möglichkeit bot, ihm irgendwo zu begegnen. In den frühen Phasen, war das im Vajirarama und später in der „Island Hermitage” und danach in Parappaduwa. Ich traf ihn einmal auf der Straße nach Kandy und hatte das gute kamma (angesammelten Verdienste) ihm Almosen (dāna) offerieren zu dürfen, welche er am Straßenrand zu sich nahm. Zu einer bestimmten Zeit, weilte er für über ein Jahr in einem Teil unseres eigenen Hauses am Ward Place in Colombo, in der Praxis meines Großvaters, die mein Ehemann für mich als Rückzugsort umgestaltet hatte und soweit ich mich erinnere, verbrachte er ebenfalls die Regenzeit dort. Auch in unserer Pitipanna Estate Residenz verbrachte er über ein Jahr und ein weiteres am gleichen Ort in einer reizvollen und ziemlich großen kuṭi, die speziell für ihn erbaut wurde und unter einem riesigen, sich auffächernden Banyan-Baum steht. Die kuṭi trägt nun den Namen „Ñāṇavimala Thero Kuṭi” und ab und zu, wird sie von Waldmönchen immer noch benutzt.

Er war dermaßen kraftvoll, dass seine Aura und Schwingungen einen unvergesslichen Eindruck auf einen ausübten. Durch ihn wurde ich mit rund zehn liebenswerten Menschen bekannt, ergebene Praktizierende des Dhamma, welche meine lebenslangen spirituellen Freunde (kalyāṇamittā) wurden. Der Einfluss dieses wundervollen Mönches auf uns war unglaublich. Wir hatten ein profundes Vertrauen zu ihm und dem, was er uns riet, leisteten wir gewöhnlich bestmöglich Folge. Er war für uns alle ein Vater und ein kalyāṇamitta, der uns solch tröstende und wertvolle Ratschläge erteilte, die ungemein hilfreich waren und uns befähigten, die ernsteren Probleme unseres Lebens anzugehen.

Beispielsweise riet er einer Dame mittleren Alters, deren Ehemann sie quälte, indem er vor ihren Augen, Beziehungen mit anderen Frauen einging, fortzugehen und ein Leben in der Einsamkeit, im Dhamma, zu führen. Aufgrund dessen wurde sie, bis über das 83 Lebensjahr hinaus, eine bedeutende und sehr erfolgreiche Dhamma-Lehrerin in einem bekannten Meditationszentrum.

Eine andere junge Person war verzweifelt, als ihr westlicher Verlobter sich mit einer anderen Frau davongemacht hatte. Er tröstete sie, indem er sie daran erinnerte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie selbst einen ehemaligen Verlobten gerade vor ihrer eigenen Hochzeit hatte fallen lassen und dass sie auf diese Weise, die Rückwirkung dessen zu durchstehen hätte. Diese junge Frau, welche vor Kummer beinahe ihre Besinnung verlor, tauchte voller Eifer in den Dhamma ein und wurde ebenfalls eine großartige Meditierende und Dhamma-Lehrerin.

Auch mich instruierte er über viele Jahre hinweg, um mich an Perioden in Einsamkeit zu gewöhnen und als er wusste, dass ich bereit war und eine enthusiastische Liebe für die pāḷi-suttas entwickelt hatte, sagte er mir, ich solle der Welt den Rücken kehren. Ich antworte: „Ich bin nicht bereit, Herr” und er entgegnete: „Wir sind niemals bereit” und aufgrund des großen Respekts und Glaubens an das, was er sagte, kehrte ich der Welt den Rücken. Und ich bin so froh, dass ich dies auch getan habe. In der Sphäre des Dhamma war dies, die bedeutendste und gewinnbringendste Zeit meines Lebens. Unglücklicherweise habe ich nach einem wundervollen friedlichen und glücklichen Jahr aufgegeben. Einige Jahre später habe ich mich jedoch zurück in die Abgeschiedenheit begeben und werde dies, bis zum Ende meines Lebens, auch weiterhin tun.

Bei einer Begebenheit war er äußerst krank und obwohl er viel später verstarb, mutete es an wie auf seinem Sterbebett, als er sagte: „Du musst für den Rest deiner Familie ein gutes Beispiel abgeben. Indem du den Weg vorlebst und diesen praktizierst, musst du es ihnen nahebringen.” Sein Loslassen von seiner eigenen Familie hingegen war beeindruckend. Es gab eine saubere Trennung ohne Rückblick oder dergleichen, keinen Briefwechsel, überhaupt keinen Kontakt. Er erzählte mir einmal eine Geschichte über ein hübsches Mädchen aus seiner Heimatstadt, die ihm ergeben war und er ein junger Mann. Eines Tages sah er sie mit einem anderen jungen Mann reden und daraufhin, wurde er von Eifersucht übermannt. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass diese Art der Abhängigkeit, derart quälendes Leid bereitete und dass er daher nicht in solchen Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnissen schwelgen sollte. Auf der Stelle, von diesem Moment an, hielt er sich fern und brach die Beziehung komplett ab. Das Mädchen war verzweifelt und musste deswegen sogar im Krankenhaus behandelt werden.

Er wiederholte mehrfach: „Man sollte um einer anderen Person willen seinen eigenen Fortschritt nicht aufgeben, ganz egal um welchen Zugewinn es sich für eine andere Person auch handeln möge, nicht einmal für kurze Zeit.” Er betonte ausdrücklich und wiederholt: „Die suttas zu lesen ist ein Muss, es ist essentiell.” Er schätzte und lobte sehr oft mein Vertieftsein in und mein Verweilen mit den suttas.

Eindringlich spornte er mich an in tiefe Praxis vorzudringen und die Schriften zu studieren. Ich denke er war im Besonderen davon beeindruckt, wie ergeben und tiefgehend ich die Pāḷi-Texte studierte. Er selbst, hatte ein sehr tiefgreifendes Verständnis des suttapiṭaka (Sutta-Korbes) und wusste gewöhnlich das Kapitel und den Vers. Er zitierte oft und ermutigte mich bestimmte Texte zu lesen. Allerdings ermunterte er mich nicht dazu, anderen die Pāḷi-Texte zu erklären, sondern vielmehr Bescheidenheit und Anonymität zu bewahren und mein eigenes Streben weiter voranzutreiben.

Zu einem späteren Zeitpunkt bemerkte er diesbezüglich: „...jedoch nicht in der Art & Weise wissenschaftlichen Studierens” und er sagte: „Es ist wirklich höchste Zeit, dass du etwas erreichst.“ Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits 64 Jahre alt. Er sagte: „Ziehe für sechs Monate in die Einsamkeit und rette dich.” Als ich da zu mir selbst dachte: „Aha, er geht davon aus, dass ich es in sechs Monaten schaffen kann – was für ein Erfolg!”, schnappte er meinen Gedanken auf und sagte: „Nein nicht in sechs Monaten, aber innerhalb eines Jahres.”

Im Privaten sagte er einmal zu mir: „Nun hast du dukkha verstanden (die edle Wahrheit des Leidens)”; „An diesem Punkt gibt es nichts was man dir noch weiter raten könnte”; „Man solle zu jeder Zeit pīti (Freude) haben.” Dann sagte ich: „Die ganze Zeit über? Er meinte: „Sicherlich, es ist als würde man einen Samen pflanzen, man muss ihn hegen und pflegen und warten bis er wächst – er kann nicht in Eile reifen.”

Eine seiner Erfahrungen, von der er mir auch erzählte, war diese: Kurz nach dem Krieg, war Alkohol naturgemäß sehr rar. Eines Abends waren in einer Kneipe jedoch ein paar Flaschen erhältlich und während einige Männer im Trinken begriffen waren, brach in dem Gebäude ein Feuer aus. „Rennt nach draußen, rennt nach draußen, das Gebäude wird gleich einstürzen”, schrien andere Leute. Dennoch war ihre Sucht so stark, dass die Männer trotzdem weitertranken und alle im Feuer umkamen – dermaßen grässlich ist die Macht und der Sog von Verlangen. Einmal, als er für eine lange Zeit in einem Waldgebiet wanderte, wurde er vom Hunger überwältigt und fragte sich, wo er wohl als nächstes Essen angeboten bekäme. Meilenweit war niemand anzutreffen. Plötzlich stieß er auf eine kleine Hütte und eine ältere Unterstützerin (upāsikā) kam mit einem, mit Essen beladenen Tablett heraus und bot es ihm an. Er fragte wie sie davon erfahren hätte, dass er komme and sie antwortete: „Als ich diesen Morgen Blumen darbrachte, sagte eine Stimme: „Ein bhikkhu kommt dieses Weges, bitte bereite etwas zum Essen zu und biete es ihm an.””

Nur wenn es darum ging, uns einen Aspekt des Dhamma nahezubringen, machte er uns auf seine außergewöhnlichen Erkenntnisfähigkeiten aufmerksam. Da es mir half, mich besser zu konzentrieren, praktizierte ich einmal leicht ānāpānasati (Atemmeditation), als ich ihn zum Kelaniya-Tempel fuhr (der Höchstehrwürdige Webu Sayadaw war ein Verfechter der Praxis von ānāpānasati zu jeder Zeit). Der Ehrw. Ñāṇavimala Thero sagte: „Wenn man Auto fährt, ist es besser keine Ānāpānasati-Konzentration zu praktizieren.” Wie konnte er nur davon wissen? War das etwa nicht übersinnliches Bewusstsein?

Bhikkhu Bodhi drückt es so aus: „Er schien eine scharfe Fähigkeit zu besitzen, bereits innerhalb eines kurzen Wortwechsels, den Charakter und die Verfassung einer Person beurteilen zu können und er passte seine Lehrrede dementsprechend an, um die Person exakt in der Art und Weise zu adressieren, die am besten den Bedürfnissen dieser entsprach.“

Als er in einem separaten Teil in unserem Haus in Colombo lebte, wurde meine Mutter bettlägerig und komatös. Er beobachte und studierte sie und kommentierte daraufhin: „Sie hat ihren Intellekt verloren, aber für ihr Innenleben wurde gesorgt” und als sie verstarb sagte er: „Sie ist zu einer Deva-Welt (himmlischen Daseinssphäre) gegangen, allerdings zu keiner großartigen.” Als die Mutter einer meiner Freunde verstarb, welche eine ergebene Praktizierende war, sagte er: „Sie ist zu einer höheren himmlischen Daseinssphäre aufgebrochen!”

Einigen meiner Freunde erzählte er seine Erfahrungen aus vergangenen Leben. In einer früheren Existenz sagte er, sei er ein Vater in einer bestimmten Familie gewesen. Eines Tages ist er eine Leiter hinaufgestiegen, fiel hinunter und lag in einem entsetzlichen Zustand auf dem Boden. Immerzu war das Leid dieser Familie für ihn verstörend gewesen. Was für ein Trauerspiel die Existenz doch ist! Es ist ein solch überwältigendes Maß an Kummer, das sich mittels einem wahren Nachfolger des Tathāgata erschließen lässt. Dem einzigen Wesen im Zustand von Wohlbehagen: „Wie vortrefflich es doch ist, dass sie – allen Kummer – überwunden haben.“

Hier sind einige Aussprüche des Ehrwürdigen Herrn, an die ich mich erinnere, sie während den 40 bis 45 Jahren, in denen ich ihn kannte, gehört zu haben:

Er sprach oft über die Stärke von mettā-cetovimutti (Geistesbefreiung durch liebende Güte). Ein anderes oft besprochenes Thema war die Auflösung von asmimāna („Ich bin”-Dünkel). Soweit ich mich erinnern kann, zitierte er oft vom majjhima nikāya, dem saṁyutta nikāya und dem aṅguttara nikāya. Er betonte einige Male das saṁyutta Nr. 35 (saḷāyatana saṁyutta) zu studieren. Mit Hinblick auf ānāpānasati, riet er dazu, im majjhima nikāya die suttas 107, 118 & 125 sowie die Kapitel (saṁyutta) 5, 22 & 35 im saṁyutta nikāya zu lernen.

Wenn er sich auf den Inhalt der suttas bezog, sagte er stets: „Das ist von diesem oder jenem bestimmten sutta” und somit sei es nicht seine Weisheit, sondern die des Erwachten. Er zeigte diese Demut und diesen großen Respekt gegenüber dem Tathāgata und bemerkte: „Viele der zeitgenössischen Mönche schreiben unter ihrem Namen Bücher und Artikel und legen nahe, dass es sich um ihr Wissen handle. Viele Bücher sind sogar im Stil verlegt worden: „satipaṭṭhāna von so und so”, obwohl es das satipaṭṭhāna des Erhabenen ist. Ist denn die, für das nibbāna notwendige Lehre, nicht durch das herausragende Wesen transparent, im Detail und prägnant aufgezeigt worden? Besteht denn die Notwendigkeit, für irgendjemand anderen zu erklären?” Gemäß meiner Beobachtung, beschränkte sich der Ehrw. Ñāṇavimala Thero ausschließlich auf die Erklärungen des Sutta-Korbes. Er befürwortete nie die Verbreitung anderer Schriften, wie jene in den altertümlichen Ausführungen des Abhidhamma, des Visuddhimagga, etc. – diesbezüglich könnte ich mich allerdings auch irren. So wie ein wahrer Vater, strahlte der Höchstehrwürdige Ñāṇavimala mettā und aufrichtiges Wohlwollen gegenüber allen seinen Gefolgsleuten aus. Streng genommen, sorgte er sich mehr um uns als unsere wirklichen Väter (alle vervollkommneten Wesen tun dies, da diese Sorge auf der Anattā-Verwirklichung beruht und nicht auf Eigeninteresse) und als er verstarb, herrschte eine extremere Trauer, als beim Versterben unserer eigenen Eltern.

Ich vermisse ihn, seine vortreffliche Führung, sein Frieden, seine echte Sorge und Interesse für uns, immer noch. Während den letzten paar Jahren seines Lebens, war es uns unglücklicherweise nicht gestattet ihn zu sehen oder mit ihm zusammen zu sein. Die Mönche, die sich um ihn kümmerten, dachten es sei im Sinne seines eigenen Wohlergehens, dass er nicht gestört werde. Viele ihm Ergebene und Mönche der Waldtradition, die seine Führung ersuchten, erlitten ungemeine Einbußen dadurch, dass sie weder in der Lage waren ihn zu sehen noch zu kontaktieren.

Seine engsten Mönchsgefährten waren Bhante Ñāṇāloka und Bhante Upasama. Zu seinen Laienanhängern zählten Brindley Ratwatte (später Bhante Siddhartha), Frau Damayanthi Ratwatte, Sylvia Gunatilleke, Janaki & Andy De Silva, Nirmal Sonnadara, Kusuma Abeysinghe, Komi Mendis, Sanath, ich selbst und zahlreiche andere, die ich nicht kenne.

Ich bitte den großartigen bhikkhu und wahren Sohn des Tathāgata, den Höchstehrwürdigen Ñāṇavimala Thero um Vergebung für jegliches Missverständnis oder jegliche Fehldarstellung in meinen Worten und auch von den Lesern, falls ich diesen, in irgendeiner Weise, Unbehagen verursacht haben sollte.