Langsam – Sorgfältig – Achtsam
Ehrw. K. Ñāṇananda
Der Ehrwürdige Mahāthera Ñāṇavimala gehörte der Kategorie von Mönchen an, deren Leben, für uns, jene beispielhaften Lebenswege der Gefährten aus der Zeit des Buddha, versinnbildlichen. Für mich war er der Mahākassapa dieses Zeitalters. Nachdem ich unter dem Ehrwürdigen Mahāthera Kadugannawe Ñāṇāloka 1967 in der „Island Hermitage“ ordiniert wurde, hatte ich das Privileg mit ihm über fünf Jahre hinweg Umgang zu pflegen. Als ich ihn das erste Mal traf, kam er gerade von seiner ersten Wanderschaft zurück im Anschluss an zwölf Jahre Meditation in Abgeschiedenheit auf der kleinen Insel. Laut dem, was mir zu Ohren kam, hinsichtlich der Schwierigkeiten, welche er während seines langen Fußmarsches durchlebt hatte, war dies möglicherweise die erste Prüfung des Durchhaltens für seinen späteren Lebenswandel.
Als junger upāsaka (Laienanhänger), der die Ordination abwartete, besuchte ich ihn in seiner Hütte (kuṭi), um seinen Rat und seinen Segen entgegenzunehmen. Mit seiner tiefen, hallenden Stimme, erinnerte er mich an das wahre Ziel und den wahren Zweck eines idealen Mönchslebens. Nach meiner Ordination, ersuchte ich von Zeit zu Zeit seine Unterweisungen und seine Führung. Davon abgesehen, war es eine große Inspiration für mich, ihn dabei zu beobachten, wie er seiner täglichen Routine mit Achtsamkeit und voller Bewusstheit nachging. Es herrschte eine Förmlichkeit seiner selbst, welche Unnötiges, das zur Ablenkung führen würde, unterband. Seine Genügsamkeit und strenge Schlichtheit strahlten eine Atmosphäre der Ernsthaftigkeit aus, die gemäß unserer Texte an das Leben des Ehrw. Mahākassapa erinnern ließ.
Die Abendrezitation wurde in jenen Zeiten im Speisesaal abgehalten. Der Ehrw. Ñāṇavimala kam gewöhnlich mit seiner Laterne, welche er auf dem Tisch nahe der Küche plazierte, bevor er im Speisesaal seinen Sitz einnahm. Während andere Mönche plauderten, hielt er seinen Blick auf die Flamme der Öllampe vor der Buddhastatur fixiert. Nur selten schenkte er den Gesprächen, welche um ihn herum stattfanden, Aufmerksamkeit.
Nach dem lobpreisenden Rezitieren, fragte einmal der burmesische Mönch, der Ehrwürdige Mahāthera Ñāṇinda, der die Einsiedelei recht häufig besuchte, den Ehrw. Ñāṇavimala, ob er vorhätte, zu gegebener Zeit, in sein Herkunftsland zurückzukehren. Fast schon scharf, gab der Ehrw. Ñāṇavimala die knappe Antwort: „paṭirūpadesavāso“ (Das Sich-in-einer-angemessenen-Umgebung-Befinden). Dies war dem Zweck dienlich, dem Ehrw. Mahāthera Ñāṇinda die Tatsache zu vermitteln, dass er es bevorzugte – entsprechend dem Geheiß des Buddhas – in dem mahāmaṅgalasutta (die Lehrerede über die großen Segen, Sn 2:8), in einer bestmöglich förderlichen Umgebung für seine Praxis zu bleiben.
Einmal, im Anschluss an das lobpreisende Rezitieren, war ich gerade im Begriff meine Laterne zu entfachen, als ich plötzlich bemerkte, dass der Ehrwürdige Ñāṇavimala nebenan wartete, um seine eigene anzuzünden. Aus Respekt ihm gegenüber, nahm ich seine Laterne und versuchte sie, in unnötiger Hast, zuerst zu entfachen. Dreimal versuchte ich den halb brennenden Papierstreifen in die Nähe des Dochtes zu bringen, aber jedesmal erlosch dieser, bevor ich ihn anzünden konnte. Ich war immer noch am Rumhantieren, als er sich seine Lampe von mir nahm und sie mit dem ersten Versuch zum Leuchten brachte und dabei bemerkte: „langsam – sorgfältig – achtsam”. Diese drei Worte klingen immer noch in meinen Ohren, als ein Souvenir kostbar für ein ganzes Leben.
Zu einer anderen Begebenheit wollte ein gelehrter Mahāthera, der mich einmal besuchen kam, den Ehrwürdigen Ñāṇavimala sehen und ich brachte ihn zu dessen Hütte (kuṭi). Er war so schwer beeindruckt von dessen beispielhafter Lebensweise, dass er demütig eingestand: „Wir kleckern nur mit Oberflächlichkeiten. Nur du tust das Wahre.” Doch der Ehrwürdige Ñāṇavimala antwortete im Gegenzug mit einem bescheidenen Kompliment: „Ehrwürdiger, allerdings bietest du den Leuten eine Möglichkeit den Dhamma zu hören. Schlussendlich können nicht alle zur gleichen Zeit die Abgeschiedenheit aufsuchen!”
Der Ehrwürdige Ñāṇavimala schien in einer Gegenwart zu leben, die keine Zukunft kannte. Keiner konnte abschätzen wann er wieder auf seine nächste cārikā (Wanderschaft) aufbrechen würde, bis zu jenem Zeitpunkt, als er kam, um die Schlüssel für seine kuṭi zu überreichen. Während der cārikā blieb er normalerweise drei Nächte an einem Ort. Wenn er gefragt wurde wohin er als Nächstes ginge, sagte er gewöhnlich: „Ich werde mich entscheiden sobald ich an die Kreuzung komme.” Einmal ging einer unserer befreundeten Mönche zu ihm und sagte: „Ehrwürdiger, ich hoffe morgen abzureisen.” Seine schlagfertige Entgegnung lautete: „Gehe heute, warum morgen?”
Immer dann, wenn er länger als eine Nacht in einer Waldeinsiedelei (arañña) blieb währenddessen er auf Wanderschaft war, säuberte und räumte er die kuṭi, welche ihm gegeben wurde, als aller Erstes auf.
In Verbindung mit diesem Hang zur Ordentlichkeit, gibt es einen eigentümlichen Vorfall, der mir von einem westlichen Mönch erzählt wurde. Im Verlauf seiner cārikā, war der Ehrw. Ñāṇavimala einmal an einer bestimmen Waldeinsiedelei angekommen. Der vorstehende Mönch hatte ihm die Schlüssel für die Uposatha-Halle überlassen, ein Gebäude, welches auch als Bibliothek der Einsiedelei diente. Als der Abt am nächsten Morgen kam, um ihn zu sehen, fand er die zuvor hier und dort herumliegenden Bücher, schön vom Besucher angeordnet vor. Nach ein paar Tagen, war der Ehrw. Ñāṇavimala zum Abt gegangen, um ihm mitzuteilen, dass er gehe und überreichte den Schlüssel. Nachdem er fortgezogen war, ist der vorstehende Mönch – vermutlich aus Neugierde – zur Uposatha-Halle gegangen und öffnete die Tür. Zu seinem Erstaunen, befanden sich alle Bücher in exakt jener Unordnung, wie zuvor!
Ein westlicher Mönch hatte diese Begebenheit von dem Abt des Klosters erzählt bekommen, als er diese Herberge selbst besuchte. Der Abt rief aus: „Was für ein wundervoller Mönch”, weil er beeindruckt war, wie der Ehrwürdige Ñāṇavimala achtsam die Bücher zurück in Unordnung gebracht hatte. Wir wissen nicht, ob dieses kleine Ereignis einen tieferen Sinn besaß. Es könnte sein, dass der Ehrw. Ñāṇavimala sich der Tatsache bewusst war, dass er nicht das Recht hatte eines anderen Bücherei in Ordnung zu bringen. Oder es wäre möglich, dass er für den vorstehenden Mönch schlicht einen Anschauungsunterricht in Sachen Achtsamkeit hinterlassen wollte.
Im Laufe seiner Wanderschaft besuchte der Ehrw. Ñāṇavimala die Kudumbigala-Waldeinsiedelei, welche in jenen Tagen nicht einfach zu erreichen war. Auf seinem Rückweg, hat einer unserer befreundeten Mönche ihn hinsichtlich seiner Erfahrungen mit wilden Tieren befragt. Er erzählte ihm, dass er einst plötzlich einen Bären auf seinem Pfad getroffen habe und dass er ihm direkt mit mettā (liebender Güte) in die Augen gesehen hat. Auf die besorgte Nachfrage: „Aber Ehrwürdiger, was wäre wenn er auf sie losgestürmt wäre?”, war seine milde Antwort: „Nun ja, ich wäre mit einem reinen Herzen gestorben.”
Ab und an war er für einige Monate auf Wanderschaft. Als er zurückkam war er ausgezehrt und seine Fußsohlen waren durchgelaufen. Er machte am darauffolgenden Tag dennoch keine Anstalten, den Pfad zu seiner kuṭi vollständig selbst zu fegen, sogar wenn dieser komplett von Laub bedeckt war. Er tat dies Stück um Stück, gründlich – langsam – sorgfältig – achtsam. Es war als ob er uns lehrte, dass wenn wir in Eile fegen, wir im Geiste ein Mehr an Unrat zurücklassen würden, als jenen Teil, den wir beiseitegefegt hätten.
Als er sich im Vajirarama in Colombo aufhielt, kam ein wohlhabender Laienunterstützer, der aufgrund einer Dhamma-Diskussion mit dem Ehrw. Ñāṇavimala tief beeindruckt war, am darauffolgenden Morgen mit seiner Familie, um ihm Almosen zu offerieren. Mit all den Delikatessen, die er mitgebracht hatte, wartete er eifrig am Tor des Tempels, bis der Ehrw. Ñāṇavimala herauskam, um auf seine Almosenrunde zu gehen. Sobald der Ehrw. Ñāṇavimala auftauchte, trat er ehrerbietend an ihn heran und offerierte ihm ein Reispfannenkuchen in die Schale. Er war gerade dabei mehr zu offerieren, als der Ehrw. Ñāṇavimala ihm mit seiner Hand ein Zeichen gab, um dies zu unterbinden und sagte: „Bitte lasse auch den armen Leuten eine Möglichkeit Almosen zu geben.” Lange nach dieser Erfahrung, erzählte mir dieser bestimmte Spender davon, nicht etwa jedoch mit einer Spur von Enttäuschung, sondern mit einer großen Wertschätzung für die bescheidene Art des Ehrw. Ñāṇavimala.
Einer unserer Mönchsgefährten weilte in einer anderen Einsiedelei, als der Ehrw. Ñāṇavimala im Laufe seiner Wanderschaft ebenfalls dorthin kam. Die Mönche dieser Behausung hatten die Gewohnheit Essen an Gruppen armer Leute zu verteilen, welche regelmäßig dort erschienen. Der Ehrw. Ñāṇavimala wollte wissen warum diese Praxis vor sich ging. Der Mönch erklärte, indem er sagte: „Ehrwürdiger aufgrund ihrer ärmlichen Verhältnisse.” Die Erwiderung des Ehrw. Ñāṇavimala lautete: „Wenn sie arm sind, sollten wir Essen von ihnen entgegennehmen.”
Gemäß moderner Wertmaßstäbe, war die Haltung des Ehrw. Ñāṇavimalas äußerst unfreundlich. Höchstwahrscheinlich spielte er mit dieser harten Entgegnung jedoch auf eine tieferen Zusammenhang an. Laut dem Gesetz des kamma ist die fehlende Praxis des Gebens, ein Grund für Armut. Die Armen zu ermutigen von den Mönchen zu nehmen anstatt ihnen zu offerieren, bedeutet ihnen lediglich eine Hinterlassenschaft in weiterer Armut im saṁsāra (endloser Geburtenkreislauf) zu vermachen.
Nachdem der Führende in der Entsagung, der Ehrwürdige Mahākassapa Mahāthera, sich nach sieben Tagen fasten aus seinem meditativen Erreichungszustand der Stille erhob, versagte er nicht nur Königen und Millionären, sondern auch Sakka dem Gottkönig, ihm Almosen zu offerieren und gab die rare Möglichkeit Verdienste zu erwerben armen Leuten, die in Hütten lebten. Die materialistische Denkweise heutzutage, könnte das jedoch sicherlich als eine Ausbeutung der Armen interpretieren.
Wann immer der Ehrw. Ñāṇavimala die rührende Entschuldigung: „Ehrwürdiger, heute haben wir nichts zum Geben”, eines armen Hauses auf der Almosenrunde vernahm, tröstete er gewöhnlich mit der sympathischen Danksagung: „Ich bin gekommen um euch mettā zu geben!”
* * *
Aufgrund der enthusiastischen Askese, der strikten Disziplin und der eisernen Tapferkeit, schien der verstorbene Ehrw. Ñāṇavimala hart wie ein Stein. Dennoch war er mit seinem Überfluss an mettā (universeller Liebe) und tiefem Mitgefühl gleichzeitig zart wie eine Blume. Für einige die ihn kannten, war es nicht einfach, diese wundervolle Mischung an Qualitäten zu verstehen. Zur Wertschätzung der direkten, knappen Ratschläge, die er in seiner tiefen, hallenden Stimme gab, waren sie nicht fähig. Indem er von Dorf zu Dorf wanderte, von Städtchen zu Städtchen, von Einsiedelei zu Einsiedelei, von Kloster zu Kloster, hinterließ er jedoch auf jene, die er traf, einen bleibenden Eindruck des beispielhaften Lebens eines idealen Einzelgängers aus der Zeit des Buddha.
Als er unbeschuht von einem zum anderen Ende über die Insel wanderte, erinnerte er die Leute an die Hochzeit des Buddhismus in diesem Land. Für Mönche und Novizen, die sich angezogen fühlten durch seine asketische Art, hatte er, wo auch immer er verweilte, ein Wort der Ermutigung parat. Unbeeinflusst durch die, in den acht Weltgesetzen zusammengefassten Wechselfälle: Gewinn und Verlust, Ruhm und Verleumdung, Kritik und Lob, Freud und Leid – durchstand er alle Schwierigkeiten auf seinem Weg mit Gleichmut. Sein Geist der Abkehr und sein Sinn für das Loslassen waren von solcher Wesensart, dass er jedesmal, wenn andere sich über seine Gesundheit erkundigten, er sie im Gegenzug, an die kränkliche Natur dieses Körpers erinnerte. Obwohl sein Körper krank war, so war er, wohlwissend wo die wahre Gesundheit wohnt, niemals krank im Geiste.
Es war kein Zufall, dass der Ehrw. Ñāṇavimala, der seine Mönchslaufbahn in der „Island Hermitage” begann, seinen letzten Atemzug in der Nähe, auf der abgeschiedenen Insel Parappaduwa nahm. Möglicherweise, hatte er zu diesem Zeitpunkt jene „Insel” gefunden, die keine Flut zu überkommen vermag.
“Uṭṭhānen’ appamādena
saññamena damena ca
dīpaṁ kayirātha medhāvī
yam ogho nābhikīrati” [Dhp. Vers 25]
„Durch unnachlässige Anstrengung, durch Sorgfalt,
durch Zügelung und Selbstbeherrschung,
lasse den wirklich weisen Mann sich selbst eine Insel schaffen,
die keine Flut zu überkommen vermag.”